Zeitzeuge Herr Henke am IKG: Die DDR wird für die Klasse 9c erlebbar

Herr Henke (Mitte) mit der Klasse 9c

Nach der langen Corona bedingten Online-Lernphase konnten die Schüler und Schülerinnen der 9c sich nun wieder auf eine außerunterrichtliche Veranstaltung freuen: Der Zeitzeuge Herr Hartmut Henke, selbst in Leinfelden wohnhaft, ehemals aus der DDR stammend, kam am Dienstag, den 29. Juni 2021 zu uns ans IKG.

Zeitzeugen gehören zur Zeitgeschichte. Aber je länger die Ereignisse des 20. Jahrhunderts in die Vergangenheit zurücksinken, desto schwächer werde ihre Stimme, daher sei es umso wichtiger, Zeitzeugen an die Schulen zu holen, so Frau Heilani. Zu Anfang des Gesprächs berichtete Herr Henke voller Stolz, dass auch er in Leinfelden Zuhause und seine Tochter schon am IKG gewesen sei.

Herr Hartmut Henke ist im Jahre 1944 als Sohn eines Landwirts in Görlitz (Sachsen) geboren. In seiner Schulzeit prägte ihn die Zeit bei den Jungpionieren und bei der Freien Deutschen Jugend (FDJ). Hier stand die Entwicklung hin zu einer sozialistischen Persönlichkeit, die sich mit dem DDR-Staat identifizieren sollte, im Vordergrund. Am blauen Halstuch und am allzeit zu hörenden Gruß der Pioniere: „Seid bereit! Immer bereit!“ waren diese zu erkennen.

Ein einschneidendes Erlebnis für Herrn Henke war die Tatsache, dass er nicht auf die Oberschule zugelassen wurde, weil er sich konfirmieren ließ, anstatt an der Jugendweihe, einem Festakt zur Aufnahme der vierzehnjährigen Jungen und Mädchen in die sozialistische Gesellschaft, teilzunehmen. Erst als seine Mutter in die LPG eintrat, wurde ihm der Eintritt in die Oberschule gewährt.

Nach dem Besuch der Oberschule, wollte er in Berlin studieren, doch der Mauerbau 1961 zerstörte seine Pläne. So beschloss er nach Dresden zu gehen. An der TU-Dresden studierte er Maschinenbau und wurde Dipl. Ing. für Landmaschinentechnik. Während seines Studiums lebte er alleine in einer angemieteten Wohnung. Er hatte Glück und kam in dieser Zeit nicht ins Visier der Stasi. Doch seine Kommilitonen, die im Studentenwohnheim lebten, wurden kontinuierlich abgehört.

Aber auch er wurde von den Bespitzelungsaktionen der Stasi nicht verschont, im Gegenteil, er fiel vielmehr wegen seines „vermehrten Ungehorsams“ während der Zeit des Prager Frühlings 1968 auf. Hier protestierte er gegen die Invasion der Warschauer Paktstaaten in die CSSR, um den Prager Frühling niederzuschlagen. „1938 braune deutsche Faschisten in Prag – 1968 rote sowjetische Kommunisten in Prag“ kommentierte er das Ereignis während seiner Arbeit im Konstruktionsbüro des Mähdrescherwerkes Singwitz. „So wurde ich vom Mitläufer des Sozialismus zu ihrem Gegner“, so Henke. „Ich hatte nur wenige Freunde in der DDR. Meine Familie war systemkonform und konnte mein Verhalten nicht nachvollziehen“, so Henke.

Da die Stasi nun ein Auge auf ihn geworfen hatte und um einer baldigen Einberufung in die NVA (Nationale Volksarmee) zu umgehen, wagte er es: Er floh in den Westen. Angst war sein ständiger Begleiter auf der Flucht. In Koper/Istrien an der Grenze zu Triest/Italien hatte diese ein jähes Ende, da ihn serbische Grenzsoldaten festnahmen. So wurde er wieder zurück an die DDR ausgeliefert und kam in die Strafvollzugsanstalt Cottbus. Hier wurde er „als Anhänger des Prager Frühlings“ zu 22 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Im Jahr 1969 folgte der befreiende Schlag: Herr Henke wurde überraschend mit einigen anderen politischen Gefangenen von der BRD freigekauft.

„Über die Grenze in die BRD zu treten, war einer der schönsten Momente in meinem Leben. Ich wurde zu einem freien Mann“, so Henke. Herr Henke hat uns gezeigt, dass wir auf unsere Freiheiten und Menschenrechte, die wir für selbstverständlich erachten, stolz sein können. Er hat unseren Horizont erweitert und uns die DDR-Geschichte erlebbar gemacht. Wir, die Klasse 9c, haben uns sehr gefreut, Herr Hartmut Henke am IKG herzlich willkommen zu heißen.

Fabio Rodriguez, Jonathan Quass (Klasse 9)