Vorstellung des Faches Deutsch
Was hat Friedrich Schiller bewogen den „Wilhelm Tell“ zu schreiben? Warum verfasste Johann Wolfgang Goethe den „Faust“? Auf diese Fragen wird das Fach Deutsch und der Deutschunterricht niemals gesicherte Antworten geben können, denn die Frage nach dem „Warum“ ist in dieser Wissenschaft keinesfalls zielführend. Zudem sind die Motivationen einzelner Dichter vielfältig und liegen oft tief im Verborgen, sodass man lediglich spekulieren könnte.
Vielmehr können wir aber danach fragen, wie die literarischen Meisterwerke auf uns Leser heute wirken und zu ihrer Entstehungszeit gewirkt haben. Um dies zu ergründen, steht die Auseinandersetzung mit dem Text selbst zuerst im Vordergrund. Seine Gestaltung ist maßgeblich verantwortlich für die Wirkung. Das gilt für alle Textgattungen und Textsorten. Die formale Gestaltung des Textes und der Inhalt selbst stehen dabei immer in enger Beziehung zueinander. Um also einen bestimmten Inhalt darzustellen und eine Textwirkung zu erzeugen, eignen sich für den Verfasser immer auch bestimmte formale und stilistische Gestaltungsmerkmale. Es ist somit keinesfalls ein Zufall, dass ein Text auch bestimmte formale Auffälligkeiten beinhaltet und dass der Autor eine bestimmte Form gewählt hat.
Demnach gilt es, das Bewusstsein schon von Beginn an dafür zu entwickeln, dass fiktionale und non-fiktionale Texte bewusst gestaltete Produkte und Kunstwerke sind. Dieser Erkenntnisprozess führt neben aller Freude am Inhaltlichen sukzessive zu einem wissenschaftlichen Umgang mit Texten.
Folglich ist es kein Zufall, dass sich in Schillers „Wilhelm Tell“ im ersten Akt und der ersten Szene genau in dem Moment die Wetterverhältnisse vom sonnigen und idyllischen Alpenpanorama in eine bedrohliche und stürmische Unwettersituation wandeln, als auch in der Handlung des Dramas eine Unheilsbotschaft die handelnden Figuren ereilt und es sogar um Leben und Tod geht. Dass hier die Hauptfigur des Textes, Wilhelm Tell, eingreift und bereit ist, sein eigenes Leben durch eine waghalsige Seepartie aufs Spiel zu setzten, um einem Hilfebedürftigen das Leben zu retten, weist schon zu Beginn des Werkes auf seinen Heldenstatus hin. Indem die Wetterverhältnisse so extrem dargestellt werden und der Vierwaldstätter See eigentlich unpassierbar ist, werden Tells mutige und selbstlosen Charaktereigenschaften besonders hervorgehoben.
Diese Korrespondenzverhältnisse zu erkennen, zu bemerken dass Literaten, Autoren und Dichter die Sprache bewusst einsetzen, ist unser großes Ziel. Die Schüler sollen so zu mündigen Lesern und Schreibern ausgebildet werden, die wahrnehmen können, dass Sie als Leser bewusst angesprochen werden. Sie sollen sich als Schreibende und als Redner auch bewusst sein, welche Wirkung ihre Worte auf andere haben. Dabei wird die Erkenntnis geschärft werden, dass unzureichende und ungenaue Erklärungen oder Begründungen einer eigenen Position, beispielsweise innerhalb einer Diskussion, eines Referats oder einer schriftlichen Erörterung und Stellungnahme, unwirksam oder gar missverständlich sein können.
Neben den Analyse- und Reflexionsfähigkeiten werden aber auch die Kompetenzen eigene Texte zu verfassen ausgebildet. Schritt für Schritt lernen die Schüler literarische Texte einerseits selbst zu produzieren und die Korrespondenz von Form und Inhalt herzustellen oder andererseits reflektierende und interpretierende Texte zu verfassen. So starten die Kleinsten in der Unterstufe vorbereitend darauf, indem Sie sich langsam mit sachlichen Schreib- und Aufsatzformen, wie dem Bericht und der Beschreibung beschäftigen und sich nach und nach von den erzählenden und kreativen Formen verabschieden. In der Mittelstufe lernen die Schüler dann neben dem sachlichen Schreiben ihre eigenen Meinungen und Positionen in schlüssigen Argumentationsgängen zu vertreten. Hinzu kommen dabei gegen Ende der Mittelstufe und auf dem Weg zur Kursstufe die deutenden, interpretierenden Aufsatzformen, in welchen die Schüler ihre über die Jahre erworbenen und nun verfeinerten Analysefähigkeiten beweisen können. Sie durchschauen im Idealfall die Vernetzung von Inhalt, Form und Deutung und damit die bewussten Wirkmechanismen eines Textes. Zusätzlich sind Sie dann in der Lage, kritisch zu diesen Texten Stellung zu beziehen, ohne sie zu bewerten. Die Abiturienten verlassen uns dann hoffentlich als mündige Leser und Schreiber! Bis dahin ist es ein weiter und oft steiniger Weg. In diesem Zusammenhang gelten allerdings drei ‚geflügelte Alltagsweisheiten‘: „Deutsche Sprache, schwere Sprache“ und „Wer schreibt, der bleibt“, denn „Nur Übung macht den Meister“. Von wem stammt denn gleich die letzte Weisheit?
Dit, März 2014